- Lieber Mario, du bist Technologietrendforscher und Autor und lebst seit 2001 im Silicon Valley. Wie kam es dazu bzw. was hat dich dazu veranlasst, dein Leben im Silicon Valley zu verbringen?
Schon als Jugendlicher haben mich die USA fasziniert, dank eines Amerikabuches, das mein Vater als Kind hatte und das ich immer wieder verschlang. Deshalb nahm ich mir immer vor, Sprachen zu lernen und habe dann bei SAP mir die Gelegenheit geschaffen, von der Zentrale in Walldorf nach Palo Alto zu ziehen. Doch was als „erst mal 2 Jahre“ begann, wurde rasch zu mehr als 20 Jahren in Kalifornien.
Was in dieser Ecke der USA so faszinierend ist, ist das Mindset der Menschen. Aus aller Welt stammend begeistern sich die Menschen hier für Ideen und lassen es nicht nur dabei, sondern packen sie auch an. Es ist sicherlich eine der intellektuell herausforderndsten Gegenden, wo man eine Reihe von interessanten Menschen mit unterschiedlichsten Lebensläufen trifft.
- Deutschland galt lange Zeit als Innovationsvorreiter, nun sind wir bei vielen Trends im Vergleich zu den USA und China die digitalen Nachzügler. Woran liegt das und was kann Deutschland unternehmen, um den Rückstand vielleicht wieder aufzuholen?
Was wir lange vermutet haben, hat die Pandemie offengelegt. Gezwungenermaßen mussten die Menschen zuhause bleiben und da zeigte sich, wie stark Mobilfunk, Breitbandausbau und die Behörden mit digitalen Diensten nachhinken. Ganze Ämter verschwanden über Monate und sogar Jahre, weil die Prozesse nicht online verfügbar waren, die Mitarbeiter keine Laptops hatten und nicht mit digitalen Werkzeugen umgehen konnten. Auch Eltern von Schülern erlebten das hautnah mit, weil ein nicht unwesentlicher Teil der Kinder nicht am Schulunterricht teilnehmen konnte.
Dabei waren wir vor 150 Jahren die Vorreiter. Die damalige Gründerwelle bescherte uns Unternehmen wie Daimler, Bosch, Allianz oder Siemens, die heute noch wichtige Arbeitgeber und Vorzeigeunternehmen sind. Doch der Erfolg unserer Vorväter brachte uns nicht nur den Wohlstand, sondern machte uns auch selbstgefällig und bequem. Wir mussten nichts Neues schaffen, um ein bequemes Leben zu haben. Ganz im Gegenteil: etwas Neues anzupacken war voll Risiko, lieber nicht das Boot rütteln.
Das zeigt sich auch in den Statistiken. So gab es in Deutschland um 2000 noch 1,5 Millionen Gründer:Innen, zwanzig Jahre später sind das nur mehr in etwa eine halbe Million. Kein Wunder, bei der Art, wie wir Gründer und Unternehmer in der Öffentlichkeit betrachten: als Ausbeuter, als Kapitalisten. Das manifestiert sich u.a. darin, dass von den Gründern von Deutschlands erfolgreichsten und wertvollsten Unternehmen SAP nach wie vor keine Biographie vorliegt. Während es zu Elon Musk oder Mark Zuckerberg nicht nur mehrere Bücher, sondern auch Spielfilme vorliegen, Interessiert in Deutschland scheinbar niemanden, wie man ein solch erfolgreiches Unternehmen aufbaut und lässt sich inspirieren.
Die Pandemie und die russische Invasion in die Ukraine – so schrecklich diese Ereignisse alle sind – haben ein Gutes: sie zwingen uns neu zu denken und zu verstehen, dass die Welt nicht stehenbleibt. Wir können Änderungen nicht mehr länger aufschieben, wir müssen in neue Technologie investieren, Gelder in die Hand nehmen, junge Leute motivieren, in der Gesellschaft Wandel als die einzige Konstante zu sehen, und vor allem zu erkennen, dass das Bewahren wollen von Altem riskanter für den Erfolg und Wohlstand des Landes ist als Neues anzupacken.
- Im November erscheint dein neues Buch „Cyberf*cked: Wie Frauen im Internet bedroht und belästigt werden – und was wir alle dagegen tun können“. Was hat dich dazu bewegt, das Buch zu schreiben?
Als Technophilosoph betrachte ich Technologietrends und wie sich diese auf die Menschen und Gesellschaften auswirken. Es ist immer ein Wechselspiel zwischen diesen, und dabei sollten wir eine gewisse Harmonie erreichen. Digitale Plattformen und soziale Medien haben sehr viel Gutes beigetragen. Menschen können sich mit anderen aus aller Welt vernetzen und Informationen in einer nie gekannten Geschwindigkeit miteinander austauschen. Doch dieselben Werkzeuge können auch für Schlechtes eingesetzt werden. Und speziell Frauen und andere marginalisierte Gruppen werden dabei zu Zielen von Attacken. In meinem im November erscheinenden Buch CYBERF*CKED betrachte ich wie Frauen online von toxischen Männern beleidigt, belästigt und bedroht werden. Dabei gehe ich auf die Hintergründe ein, wie Männer so werden, warum sie das machen, wer sie sind, und was für Auswirkungen sie dabei auf die Frauen haben. Wir sollten uns alle dafür interessieren, denn in immer komplexer werdende Gesellschaften brauchen die die Stimmen, Ideen und Beiträge von vielen Gruppen, inklusive den Frauen. Wenn ein Großteil der Frauen online ständig eine besondere Form der Gewalt – nämlich der sexualisierten Gewalt – erleben müssen, dann ziehen sich diese zurück und im gesellschaftlichen und politischen Diskurs fehlen uns diese ganz wichtigen Stimmen. Deshalb gehe ich auch darauf ein, was wir als Männer, als Gesellschaft dagegen tun können, um Frauen den sicheren Raum im Internet zurückzugeben.
Da ich seit Jahren Diversität für Innovation predige und ich immer mehr erkennen musste, wie toxische Männer online attackieren und zum Verstummen zu bringen versuchen, war ich so wütend, dass ich etwas gegen diese toxischen Arschlöcher tun wollte. Was kann ich als Upstander, als Ally der Frauen gegen diese Männer tun? Und deshalb schrieb ich dieses Buch mit der Absicht, anderen Männern die genauso Frauen online helfen wollen, eine Anleitung in die Hand zu geben.